Mainz (ots) –
Der globale Agrar- und Nahrungsmittelsektor wird kurz- und mittelfristig stark von Preissteigerungen und Knappheiten betroffen bleiben. Dabei spielen sowohl Lieferkettenprobleme in der Ukraine als auch die rückläufige Verfügbarkeit von Düngemitteln aufgrund der Sanktionen gegen Russland und Belarus eine Rolle. Hinzu kommen klimatische Faktoren und der verschärfte protektionistische Wettbewerb um Lebensmittel gerade im südlichen Asien. Neben Hungersnöten drohen auch sozio-politische Risiken und Unruhen in besonders gefährdeten Regionen Afrikas und Asiens. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Kreditversicherers Coface.
Der Druck auf die – sich bereits vor der russischen Invasion im Aufwärtstrend befindlichen – Agrarrohstoffpreise hat sich aufgrund des Kriegs in der Ukraine weiter verstärkt. Im Jahr 2019 entfielen auf Russland und die Ukraine zusammen 25%, 21% und 17% der weltweiten Ausfuhren von Weizen, Gerste und Mais. Durch die Kriegshandlungen ist dieser Export stark beschränkt. Darüber hinaus entfielen auf Russland und Belarus zuletzt 20% der weltweiten Düngemittel- und 40% der Pottasche-Ausfuhren. Diese sind von den neuesten Sanktionen der EU betroffen. „Der Preisdruck auf Dünger und Treibstoffe wirkt sich stark auf die Produktionskosten der Getreideerzeuger aus. Auch die Viehzucht ist hiervon betroffen. Die Folgen sind in allen Segmenten der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette wie Fleisch, Milch oder Pflanzenöle deutlich spürbar, nämlich in Form von steigenden Verbraucherpreisen“, sagt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Der Nahrungsmittel-Preisindex (FAO) hatte im März mit 159,3 Punkten (+33,6% gegenüber März 2021) einen Höchststand erreicht.
Hochrisikoregionen in Afrika und Asien
Die Risiken im Nahrungsmittelsektor betreffen vor allem Länder, die in hohem Maße von Lebensmittelimporten abhängig sind und in denen zugleich die tägliche Energiezufuhr vor allem durch Lebensmittel auf Getreidebasis erfolgt. Weltweit sind mehr als 225 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit bedroht – in mehreren dieser Hochrisikoregionen liegt ein Schwerpunkt auf getreidebasierter Ernährung. Ein weiteres Risiko in diesem Zusammenhang: Die Kombination aus steigenden Grundnahrungsmittelpreisen und erhöhter Ernährungsunsicherheit deutet auf eine Zunahme sozioökonomischer und politischer Unruhen in mehreren Ländern und Regionen hin – vor allem im Norden und Osten Afrikas sowie in Süd- und Südostasien. „Es wäre nicht die erste Staatskrise, die durch höhere Brotpreise ausgelöst wird. Im Sudan begannen die Unruhen im Jahr 2019, nachdem die Regierung die staatlich regulierten Brotpreise angehoben hatte“, sagt Christiane von Berg.
Risikofaktor Klima: Hitzeperioden zu Jahresbeginn
Ein weiterer Risikofaktor sind die klimatischen Bedingungen. Der Beginn des Jahres 2022 war durch starke Hitzeperioden gekennzeichnet, die zu Dürren und Großbränden führten. „Solche Ereignisse bedrohen die Ernte und schwächen vor allem die ohnehin anfälligen Regionen wie Südasien oder das Horn von Afrika mit Ländern wie Äthiopien oder Eritrea. Aber auch in lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien, Argentinien und Paraguay ist die Ernte teils gefährdet. Die Gefahr von Hungersnöten steigt“, sagt Christiane von Berg.
Protektionismus, um inländische Versorgung zu sichern
Um Versorgungslücken im eigenen Land vorzubeugen, haben einige Nationen ihre Lebensmittelexporte beschränkt. So hat Indien, zweitgrößter Weizenproduzent der Welt, Mitte Mai zunächst ein Ausfuhrverbot für Weizen erlassen. Wenige Tage später kündigte die Regierung zumindest Lockerungen an, indem sie die Ausfuhr von Sendungen erlaubte, die dem Zoll bereits übergeben worden waren. Mit der Exportbeschränkung soll die heimische Versorgungssicherheit gewährleistet und die Inflation eingedämmt werden. Darüber hinaus soll das Horten von Weizenvorräten verhindert werden. „In Ländern wie Ägypten, das während des arabischen Frühlings 2011 von Hungerunruhen heimgesucht wurde, haben sich die Regierungen in der Folge bemüht, Weizen zu bevorraten. Ägypten ist mit 12 Millionen Tonnen pro Jahr der weltweit größte Weizenimporteur“, sagt Christiane von Berg.
Auch in Indonesien, wo die Ausfuhren von Palmöl im vergangenen Jahr 21% der Gesamtexporte ausmachten, kündigte Präsident Joko Widodo Ende April an, die Ausfuhr von Speiseöl bis auf Weiteres zu verbieten. Diese Entscheidung zielte ebenfalls darauf ab, die inländische Verfügbarkeit sicherzustellen und die Inflation der Speiseölpreise im Land einzudämmen. Der Exportstopp wurde zum 23. Mai wieder aufgehoben. Am selben Tag kündigte Malaysia an, die Ausfuhr von Geflügel ab dem 1. Juni zu verbieten, um lokalen Engpässen zu begegnen. Premierminister Ismail Sabri Yaakob erklärte, das Exportverbot werde so lange aufrechterhalten, bis sich die Preise und die Produktion von Geflügelfleisch stabilisiert hätten.
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